21.04.2021

Die Landeskoordinierungsstelle CORA hat die Fallzahlen des Beratungs- und Hilfenetzes bei häuslicher und sexualisierter Gewalt in Mecklenburg-Vorpommern aus dem Jahr 2020 veröffentlicht.



 

Presseerklärung 21.04.2021

 

1. Jahresauswertung gesamt

Im Jahr 2020 hat das Beratungs- und Hilfenetz M-V insgesamt 4.369 Fälle von Gewalt gegen Erwachsene verzeichnet, die Schutz und Beratung suchten (vgl. 2019: 4.531 | 2018: 4.593). Im vergangenen Jahr wurden zudem insgesamt 4.033 Kinder und Jugendliche registriert, die mit häuslicher Gewalt, sexualisierter Gewalt, mit Menschenhandel zum Zweck der sexuellen Ausbeutung oder Zwangsverheiratung konfrontiert waren (vgl. 2019: 4.153 | 2018: 4.210).

Den Kolleg*innen des Beratungs- und Hilfenetzes M-V ist es wichtig zu betonen, dass bei der Betrachtung der Gesamtfallzahlen zu beachten ist, dass pro Fall in der Regel mehrere Beratungen stattfinden. Die Dauer und Intensität können sehr unterschiedlich sein und orientieren sich an den individuellen Bedarfen der Gewaltbetroffenen.

Werden die Fallzahlen der gewaltbetroffenen Hilfesuchenden des vergangenen Jahres aufgeschlüsselt, ergibt sich ein unterschiedliches Bild. So verzeichneten die Frauenhäuser einen leichten Anstieg – sowohl an Bewohnerinnen (d.h. Frauen, die 2020 Schutz in einem Frauenhaus in M-V suchten) als auch an ambulanten Beratungen. Die Fachberatungsstellen für Betroffene von sexualisierter Gewalt verzeichneten 2020 im Vergleich zu 2019 einen leichten Anstieg ihrer Fallzahlen. Alle anderen Beratungsarten des Hilfenetzes verzeichneten einen Rückgang.

Es soll erwähnt werden, dass ein Rückgang der Fallzahlen nicht bedeutet, dass es 2020 weniger häusliche Gewalt in Mecklenburg-Vorpommern gab. Denn die polizeiliche Statistik zu der Anzahl von polizeilichen Einsätzen in Fällen häuslicher Gewalt verzeichnet seit mehreren Jahren leicht steigende Zahlen.

 

1.1 Mit-/betroffene Minderjährige

Letztes Jahr wurden 3.677 Kinder und Jugendliche registriert, die häusliche Gewalt in ihren Familien miterlebten und deshalb als mitbetroffen erfasst wurden (vgl. 2019: 3.811 | 2018: 3.843). Bereits das Miterleben von häuslicher Gewalt zwischen den Eltern ist für viele Kinder und Jugendliche stark belastend und bedarf deshalb professioneller Unterstützung. In der Regel erfahren sie diese durch die Kinder- und Jugendberaterinnen der Interventionsstellen und die Frauenhäuser im Hilfenetz.

Einen leichten Anstieg gab es im letzten Jahr bei den unmittelbar von Gewalt betroffenen Kindern und Jugendlichen. 2020 wurden 356 Minderjährige verzeichnet, die direkt selbst häusliche Gewalt (18), sexualisierte Gewalt (333), Menschenhandel und Zwangsverheiratung (5) erfuhren. 2019 waren es insgesamt 342 betroffene Minderjährige (vgl. 2018: 367). Die betroffenen Minderjährigen werden häufig durch Angehörige oder weitere Fachkräfte (z.B. aus Schule, Kita, Kinder- und Jugendhilfe) an das Hilfenetz vermittelt oder erreichen das Hilfenetz als Selbstmelder*innen.

 

1.2 Genderverteilung

Von den 4.369 gewaltbetroffenen Erwachsenen, die Schutz und Beratung erfahren haben, waren 3.792 Frauen, 393 Männer und 184 Personen diversen Geschlechts oder deren Geschlechtsangabe nicht übermittelt wurde. Demnach waren 86,8 % der erwachsenen Betroffenen weiblich, ca. 9 % männlich und 4,2 % divers/ keine Angabe. Das heißt, dass der Hauptteil der gewaltbetroffenen Klient*innen im Erwachsenenbereich nach wie vor vor allem Frauen sind.

Von den insgesamt 356 minderjährigen (direkt) Betroffenen waren 76,7 % weiblich, 23 % männlich und 0,3 % divers/ ohne Angabe. Das heißt, dass ca. 3/4 der im Jahr 2020 gewaltbetroffenen Kinder und Jugendlichen Mädchen und junge Frauen waren – ca. 1/4 Jungen und junge Männer, die im Beratungs-und Hilfenetz M-V Unterstützung fanden. Das Geschlecht der mitbetroffenen Kinder und Jugendlichen, die in ihren Familien häusliche Gewalt miterlebten, wird nicht aufgeschlüsselt.

 

2. Aufschlüsselung nach Beratungsart

Alle Einrichtungen des Beratungs- und Hilfenetzes M-V sind systemrelevant eingestuft und waren 2020 durchgehend erreichbar. Neben persönlicher Beratung wurde durch viele Beratungsstellen auch telefonische und nach und nach digitale Beratung angeboten. Dies wurden von den Klient*innen unterschiedlich intensiv genutzt. Einige Betroffene verfügten selbst nicht über die technischen Mittel um eine digitale Beratung zu nutzen, andere schilderten dass die Organisierung von Homeoffice und Homeschooling und das Zusammensein mit einer gewalttätigen Person auf engstem Raum die Nutzung von Hilfsangeboten zunächst erschwerte. Sich in der Pandemie als Familien zu organisieren habe die Gewaltproblematik einerseits verschärft und andererseits „überlagert“. Die Expert*innen des Hilfenetzes vermuten grundsätzlich, dass „im letzten Jahr die Krise von außen die Krise im inneren befördert“ habe.

 

2.1 Frauenhäuser (& ambulante Beratung)

Im letzten Jahr suchten 291 Frauen und 306 Kinder Schutz in den Frauenhäusern M-Vs (vgl. 2019: 285 Frauen und 310 Kinder | 2018: 292 Frauen und 349 Kinder). Die Frauenhäuser standen als stationäres Krisenangebot im letzten Jahr vor besonderen Herausforderungen, entwickelten Hygienekonzepte und Quarantänepläne, um weiterhin einen Schutzraum für Frauen in akuter Notlage gewährleisten zu können.

Im Bereich der ambulanten Beratungen ist ein Anstieg der Fallzahlen erkennbar. 2020 berieten die Frauenhäuser ambulant insgesamt 929 gewaltbetroffene Frauen mit 860 mitbetroffenen Kindern zu Schutzmöglichkeiten (vgl. 2019: 858 Frauen, 690 mitbetroffene Kinder | 2018: 905 Frauen, 686 mitbetroffene Kinder).

 

2.2 Beratungsstellen für Betroffene von häuslicher Gewalt:

Die Beratungsstellen für Betroffene von häuslicher Gewalt bieten ambulante Beratung und dies langfristig und vorrangig im ländlichen Raum an. Sie beraten teilweise auch Klient*innen, bei denen die Erfahrung häuslicher Gewalt zeitlich schon zurückliegt, die aktuell aber noch immer unter den direkten Folgen leiden. 2020 wurden durch die Beratungsstellen insgesamt 346 von häuslicher Gewalt betroffene Erwachsene beraten (vgl. 2019: 441| 2018: 514). Die Beratungsstellen verzeichneten hierbei 352 mitbetroffene Kinder (vgl. 2019: 399| 2018: 425).

 

2.3 Fachberatungsstellen für Betroffene von sexualisierter Gewalt:

Die Fachberatungsstellen beraten erwachsene und minderjährige Betroffene von sexualisierter Gewalt und führen u.a. Präventionsangebote in Kitas und Schulen durch. Im vergangenen Jahr fielen die meisten Präventionsangebote aus, seltener wurden sie als online-Variante umgesetzt. Auch der Kontakt zur Kinder- und Jugendhilfe war aufgrund der Corona-Pandemie im vergangenen Jahr eher rückläufig. Dennoch stiegen die Fallzahlen im Kinder- und Jugendbereich im Vergleich zum Vorjahr.

2020 fanden 356 von sexualisierter Gewalt betroffene Erwachsene und 333 Kinder Unterstützung bei den Fachberatungsstellen in M-V. (Vgl. 2019: 363 Erwachsene und 304 Kinder | 2018: 451 Erwachsene und 328 Kinder).

 

2.4 Interventionsstellen gegen häusliche Gewalt und Stalking:

Die Interventionsstellen gegen häusliche Gewalt und Stalking leisten pro-aktive kurzzeitige Beratung und Krisenintervention nach Polizeieinsätzen zu häuslicher Gewalt und für Selbstmelder*innen an. 2020 verzeichneten die Interventionsstellen 2.419 Fälle gewaltbetroffener Erwachsener, 2.151 Fälle mitbetroffener Minderjähriger und 18 Fälle direkt von häuslicher Gewalt betroffener Kinder und Jugendlicher. (Vgl. 2019: 2.537 Erwachsene, 2.412 mitbetroffene Minderjährige, 31 direkt betroffene Kinder und Jugendliche | 2018: 2.399 Erwachsene, 2.383 mitbetroffene Minderjährige, 32 direkt betroffene Kinder und Jugendliche). Das bedeutet einen Rückgang der Fallzahlen 2020 im Vergleich zu 2019.

 

2.5 Fachberatungsstelle ZORA:

ZORA ist die landesweite Fachberatungsstelle für Betroffene von Menschenhandel zum Zwecke der sexuellen Ausbeutung (Zwangsprostitution) und Zwangsverheiratung. Die Mitarbeiterin unterstützte im letzten Jahr 22 erwachsene - und 5 minderjährige Gewaltbetroffene (Vgl. 2019: 47 Erwachsene und 7 Minderjährige | 2018: 32 Erwachsenen und 7 Minderjährige).

 

2.6 Gewaltberatung:

Die Gewaltberatung unterscheidet sich grundlegend von den anderen Beratungsarten, da sie nicht mit Gewaltbetroffenen sondern mit Tatpersonen als Klient*innen arbeitet. Sie unterstützt Tatpersonen bei dem Weg zu einem Leben ohne gewalttätiges Verhalten. Die Gewaltberatung ist deshalb wichtiger Bestandteil im Durchbrechen von Gewaltkreisläufen und im Hilfesystem gegen häusliche und sexualisierte Gewalt. 2020 konnten 71 erwachsene Tatpersonen beraten werden (vgl. 2019: 159 Erwachsene, 12 minderjährige Tatpersonen | 2018: 269 Erwachsene, 11 minderjährige Tatpersonen).

 

Untenstehend finden Sie eine tabellarische Übersicht mit den Fallzahlen des vergangenen Jahres, aufgeschlüsselt nach den Beratungsstellen und Frauenhäusern des Beratungs- und Hilfenetzes M-V.

 

Das Ministerium für Soziales, Integration und Gleichstellung M-V hat am heutigen Mittwoch, d. 21.04.2020 die Pressemitteilung "Drese: Aufrechterhaltung der Hilfen für Opfer von Gewalt in der Corona-Pandemie besonders wichtig" herausgegeben. Darin wird die Sozialministerin Stefanie Drese zitiert:

„Ich bin den Beschäftigten der Beratungs- und Anlaufstellen sehr dankbar, dass Sie auch im vergangenen Jahr, das weitgehend durch Corona geprägt war, stets für Hilfe- und Zufluchtssuchende verfügbar waren. So blieben beispielsweise die Frauenschutzhäuser stets geöffnet“, sagte Drese."

Die Ministerin rief  in der Corona-Pandemie zu hoher Achtsamkeit auf.

„Es ist wichtig, Signale von Betroffenen wahrzunehmen oder Opfer von Gewalt auf Hilfsangebote hinzuweisen. Wir müssen hingucken, statt weggucken“, so Drese."

 

Eine Übersicht mit allen Frauenhäusern und Beratungsstellen für Betroffene von häuslicher und sexualisierter Gewalt in Mecklenburg-Vorpommern finden Sie hier.